Kleine Geschichte der Fraktur

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raktur ist nicht eine Schrift, die man erfunden hat, weil man sie schön fand, sondern die Frucht einer Jahrtausende alten Geschichte. Sie stellt die zeitlich letzte und im Prinzip modernste Stufe europäischer Schriftentwicklung dar. Aus historischer Sicht ist die heute wieder übliche lateinische Schrift ein Rückschritt um 500 Jahre.

Die menschliche Überlieferung reicht etwa 10.000 Jahre zurück. Im Laufe dieser Zeit entwickelten viele Kulturen Schriftzeichen, zumeist Bilderschriften. Vor ca. 5.000 Jahren entstand die Keilschrift der Sumerer; sie war die erste Bilderschrift, deren Zeichen mit bestimmten Lauten verbunden waren.

ABCDE

Die sumerische Keilschrift wurde Vorbild vieler anderer Kulturen des vorderen Orient, unter anderem für die Babylonische Schrift und die ägyptischen Hieroglyphen.

FONTURA

Vor etwa 3.500 Jahren entwickelten die Phönizier die erste reine Lautschrift. Ihre Buchstaben waren in fester Reihenfolge angeordnet, dem Alfabet, das im Prinzip bis heute gilt.

FONTURA

Dieses Alfabet übernahmen in geringer Abwandlung vor etwa 3.100 Jahren die Griechen, die es auf Handelswegen zu den Etruskern in das heutige Italien brachten.

FONTURA

Vor etwa 2.700 Jahren gelangte es durch Eroberung weiter zu den Römern, die noch einige Buchstaben ergänzten und alle Zeichen in die bekannte, klassische Form brachten.

FONTURA

Vor etwa 1.800 Jahren kam in Germanien und Skandinavien die Runenschrift auf, das Futhark. Es wurde wahrscheinlich auf dem Phönizischen fußend durch die Kelten eingetragen und bildete einen selbständigen Zweig der Schriftentwicklung, der mit der Christianisierung endete.

FONTURA

Die Christianisierung brachte die lateinische Schrift in alle Teile Europas. Mit dem Untergang des Römischen Reiches vor 1.600 Jahren, zum Beginn des Frühmittelalters, gingen daraus die Unzialschriften hervor.

FONTURA

Die Bildungsreform Karls des Großen vor 1.100 Jahren etablierte die Karolingische Minuskel als Einheitsschrift des Frankenreiches. Sie unterschied erstmals zwischen Klein- und Großbuchstaben und war die gemeinsame Wurzel der späteren Fraktur wie auch der Antiqua.

Fontura

Im Hochmittelalter, vor etwa 900 Jahren, entwickelte sich in Nordfrankreich die gotische Minuskel. Die eng stehenden Zeichen verliehen dem Schriftbild einen gitterförmigen Eindruck, wie gewebt, daher der Name Textura.

Fontura

Während die gebrochene Schrift in fast ganz Europa eine Blütezeit erfuhr, ging die Entwicklung im Mittelmeerraum über das Rundgotische zurück zur lateinischen Schrift. Kombiniert mit den Minuskeln entstand in Venedig vor 560 Jahren die Antiqua.

Fontura

Zur gleichen Zeit stellte Johannes Gutenberg die erste gedruckte Bibel her. Seine Texturschrift wirkte stilbildend auf die gesamte entstehende Druckindustrie.

Fontura

Vor 540 Jahren entstand in Nürnberg die Alte Schwabacher, die vor allem durch Albrecht Dürer bekannt wurde und sich zu einer eigenen Schriftengruppe entwickelte.

Fontura

Vor 500 Jahren ließ Kaiser Maximilian eine Bibliothek gedruckter Bücher herstellen und eigens dazu eine neue, elegantere Schrift entwerfen. Die Fraktur war geboren. Sie nennt sich nach dem Knick ihrer Bögen lat. fraktura = „der Bruch“.

Fontura

Die Fraktur verdrängte in Deutschland und Skandinavien bald die Gotische Schrift, welche sich in Frankreich und England noch länger hielt. Vor 360 Jahren schuf Johann Gottlob Immanuel Breitkopf eine barocke Fraktur, die prototypisch als schönste und meist verbreitete ihrer Zeit galt.

Fontura

Die Fraktur passte sich immer wieder wechselnden Moden an, vor 200 Jahren kam etwa die Kanzlei-Form auf.

Fontura

Vor etwa 70 Jahren entstanden entschnörkelte, moderene Formen, wie die Koch Fraktur und die Post Fraktur.

Fontura

Das vorläufige Ende der Entwicklung bildete das Frakturverbot der Nationalsozialisten. Im Schrifterlass, dem sogenannten Bormann-Brief, verbot Adolf Hitler 1941 die Verwendung der Fraktur in Deutschland. Hauptgründe waren seine persönliche Abneigung und Machtkalkül. Der Schrifterlass auf den Seiten der schwabacher SPD.

„Die sogenannte gotische Schrift als eine deutsche Schrift anzusehen oder zu bezeichnen ist falsch. In Wirklichkeit besteht die sogenannte gotische Schrift aus Schwabacher Judenlettern. ...“

Nachdem Krieg wurde das Frakturverbot zunächst durch die allierte Zensur weiter aufrecht erhalten. Seit Gründung der Bundesrepublik ist sie zwar wieder erlaubt, aber Hitlers Erlass, an den Schulen nur noch die „Normalschrift“ zu lehren, wurde nicht aufgehoben. Über Generationen hinweg schwand so allmählich die Fähigkeit, Kurrent und Fraktur zu lesen und die Menschen wurden von der schriftlichen Überlieferung ihrer eigenen Großeltern abgeschnitten.

Erst in den 1980er Jahren, als elektronische Rechnerschriften für jedermann verfügbar wurden, konnte sich auch die Fraktur wieder eine wachsende Anhängerschaft erschließen. Heute bringen Drucker und Grafiker diese Schätze wieder ans Licht. Im Verlauf der Zeit von politischer Vereinnahmung befreit, zeigt sich die Fraktur heute als das, was sie ist – eine wunderschöne Schrift.

Nur im Internet mit seinen ärmlichen typografischen Möglichkeiten blieb ihre Verwendung bisher verwehrt. Mit Fontura möchte ich deshalb auch eine Brücke schlagen, die gebrochenen Schriften, aber auch überhaupt schöne Schriften, für den alltäglichen Gebrauch wieder nutzbar zu machen.

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